Maibaumsetzen in Bad Klosterlausnitz
Im November 2019 bin ich nach Deutschland gezogen. Unglaublich schlechtes Timing, wie sich herausstellte, für einen jungen Mann, der den kulturellen Reichtum der deutschen Traditionen und Festlichkeiten zu erleben hoffte. Meine ersten Monate in Deutschland waren vom Corona-Lockdown geprägt!
Kein Wunder also, dass ich begeistert war, als 2021 der Covid-Wahn zu Ende ging und unsere Stadt Bad Klosterlausnitz ihre 365 Jahre alte Tradition wieder aufnehmen konnte: das Maibaumsetztens auf dem Marktplatz. In den Jahren davor haben Mitglieder unserer kleinen Bruderhof-Gemeinschaft bereits an diesem viertägigen Prozess teilgenommen, der erforderlich ist, um einen dreitausend Kilogramm schweren, sechsunddreißig Meter hohen Koloss von einem Maibaum im Stadtzentrum aufzustellen.
So auch in diesem Jahr: Schon am Freitagabend grillten wir, in den traditionellen weißen Hemden und blauen Schürzen der Lausnitzer Burschen gekleidet, Hunderte von Thüringer Bratwürsten und zapften unzählige Biere für die etwa zweitausend Einheimischen, die zusammen kamen, um die Versteigerung des alten Maibaums mitzuerleben. Es wurde bis in die frühen Morgenstunden gefeiert; aber das hielt die hartgesottenen Burschen nicht davon ab, sich bereits um acht Uhr morgens wieder zu treffen, um aufzuräumen und alles auf das Kindermaibaumsetzen vorzubereiten.
Am Samstag vor dem großen Event haben die Kinder von Bad Klosterlausnitz die Möglichkeit, einen eigenen Miniatur-Maibaum zu errichten. Das gibt den Richtmeistern nicht nur die Gelegenheit, im Kleinen zu üben, sondern diese uralte Tradition auch gegen den Lauf der Zeit aufrechtzuerhalten, indem die nächste Generation aktiv eingebunden wird.
Nach einem erfolgreichen Kindermaibaumsetzen, kann die Arbeit am Sonntag ernsthaft beginnen. Zuerst geht es gegen zehn Uhr in den örtlichen Tannenwald. Achtzig Männer stellen sich in einer Reihe zu beiden Seiten einer perfekt gefällten Tanne auf, hieven den massiven Baum auf und manövrieren ihn aus dem Wald zu einem bereitstehenden Pferdewagen. Der Baum wird jedoch nicht gleich in die Stadt befördert, vielmehr strömen Hunderte von Einwohner in den Wald, um beim Abtransport des Baumes mit dabei zu sein. Wieder gibt es Bratwurst und Bier zu genießen, was hier in den eigens dafür aufgestellten Holzbuden verkauft wird. Nach mehreren Stunden wird der Maibaum, der nun sicher auf dem Pferdewagen befestigt ist, von einem kräftigen Gespann über die zwei Kilometer lange Kopfsteinpflasterstraße ins Stadtzentrum gezogen. Ab jetzt wird er von den engagierten Burschen die Nacht hindurch bewacht.
Der Montag bricht früh an, schon um vier Uhr dreißig herrscht auf dem Marktplatz reges Leben. Nervöse Burschen bereiten sich auf das Fällen des alten Maibaums vor und verschlafene Schaulustige drängeln sich aufgeregt, um einen besseren Blick zu erhaschen. Mitglieder unserer Gemeinschaft mischen sich unter die Menge und bieten literweise frisch gebrühten Kaffee an. Auch das ist unterdessen zu einer geschätzten Tradition geworden und innerhalb von zehn Minuten sind die Kannen leer. Alle erwarten mit erweckten Sinnen das Schauspiel:
Das Krachen des alten Maibaums, der auf dem Marktplatz zerbricht, hallt durch die Straßen. Bald ist der Baum vom Vorjahr weggeräumt und das Sägemehl und die Rinde zusammengefegt.
Um sieben Uhr beginnt das traditionelle Bänder-Sammeln. Sieben Stunden lang ziehen zwei Gruppen von Burschen durch die Straßen der Stadt und machen an den Häusern der Bad Klosterlausnitzer Bürger Halt, um bunte Bänder für die Spitze des Maibaums zu erhalten, und ebenfalls genug zu Essen und zu Trinken.
Um halb drei Uhr nachmittags schließen sich die beiden Gruppen zusammen und marschieren in einer feierlichen Prozession auf den Marktplatz, wo das Aufstellen des Maibaums endlich beginnen kann. Mit Holzleitern und Stangen wird über die nächsten sechs Stunden der mächtige Baum in Position gebracht. Der Richtmeister übertönt mit seinen Kommandorufen deutlich das unaufhörliche Gerede von Hunderten von Schaulustigen. Er ist für die Sicherheit der Männer und die Geradheit des Maibaums verantwortlich - eine Verantwortung, die viele unterschätzen.
Erst als der aufrechte Maibaum den Marktplatz überragt, verlassen die Burschen ihre Stangen und treten zurück, um das Ergebnis ihrer Arbeit zu betrachten. Nun versammeln sich alle am Fuß des Maibaums und die Männer beglückwünschen sich gegenseitig. Bierkrüge wandern von Hand zu Hand, während erst der Vorstand und dann die Bürgermeisterin ihre Rede zum Abschluss der Feierlichkeiten halten.
Die Stimmung ist ausgelassen, doch bei den letzten Worten überkommt mich eine gewisse Wehmut, denn in drei Wochen werde ich dieses Land mit seinen schönen Traditionen verlassen und nach England zurückkehren. Ich werde diese Stadt, ihre Menschen und ihren kulturellen Reichtum sehr vermissen. Aber die Erinnerungen an diese schönen und bunten Stunden werde ich mitnehmen, sie werden in mir weiterleben. Und ebenso die Tradition des Lausnitzer Maibaumsetzens!
https://www.bruderhof.de/holzland
Bilder von